Angaben entsprechend S3- Leitlinie1, sofern nicht anders vermerkt.
Inhalt
Übersicht
Vorbemerkung zu folgenden Ausführungen: Der Analkanal erstreckt sich über 3 – 4 cm vom Rektum bis zur anokutanen Linie. Das 5 cm große Hautareal um die Anokutalinie wird als Analrand bezeichnet. Analrandkarzinome sind daher Hautkarzinome. Die hier aufgeführten Ausführungen zur Therapie beziehen sich auf die Analkanalkarzinome.
Abb.: Topographie Analkanal (türkis) 2
Häufigkeit
Die Inzidenz beträgt in Deutschland 2,8/ 100.000. Frauen sind etwas häufiger betroffen (Verhältnis weiblich zu männlich: 1,30; Inzidenzen: 3,1 zu 2,4 pro 100.000).3
Das mittlere Erkrankungsalter liegt im 68. Lebensjahr (bei Frauen im 66., bei Männern im 69. Lebensjahr) und das Lebenszeitrisiko, an einem Analkarzinom zu erkranken, bei 0,2% (Männer: 0,2%, Frauen 0,3%). 4
Abb.: altersabhängige Inzidenz des Analkarzinoms in Deutschland 20162
Risikofaktoren
Als Risikofaktoren für die plattenepitelialen Analkarzinome gelten HPV Infektion, sexuell übertragene Erkrankung (wie Chlamydien, Gonorrhoe und Syphilis) in der Vorgeschichte und Tabak. In 90% – 96% findet sich ein Infektionsnachweis mit HPV 16 und HPV 18. HPV Impfprogramme gegen 4 high-risk HP- Viren haben anale Dysplasien verhindert. Eine HIV Infektion steigert das Risiko für Analkarzinome um den Faktor 30.5 Rauchen erhöht das Risiko nach 20 packyears um das 1,9-fache und nach 50 packyears um das 5,2-fache.6
Diagnostik
Falls nicht anders angegeben, vergleiche 5.
Das häufigste klinische Zeichen ist mit 45% die anale Blutung, gefolgt von analen Schmerzen und der Empfindung einer rektalen Raumforderung.7
- Eine Anamnese sollte auch zurückliegende sexuell übertragbare Erkrankungen erfassen.
- Die körperliche Untersuchung umfasst inbesondere die inguinalen Lymphknoten und eine digital-rektale Palpation.
- Empohlen werden apparative Untersuchungen von Thorax und Abdomen/ Becken mittels CT (letzteres alternativ mittels MRT).
- eine PET/CT Untersuchung kann alle diese Untersuchungen ersetzen, und die diagnostische Sicherheit verbessern. PET/CT Untersuchungen führen bei 41 % zu einer Änderung des TNM Stadiums. Beim Nodalstatus kommt es jeweils 15% zu einem Upstaging bzw. Downstaging. Gemessen an der Sentinelbiopsie inguinale Lymphknoten erreicht die PET/CT Untersuchung eine Sensitivität von 100% und eine Spezifität von 83%.8 Dennoch ist eine PET/CT Untersuchung beim Analkarzinom nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten.
- Desweiteren ist eine Proktoskopie angezeigt.
- eine histologische Sicherung ist obligat.
Histologie
Plattenepithelkarzinome haben in Deutschland einen Anteil von 86%. Bis zum Lebensalter bis 70 Jahre beträgt er 90%. Mit zunehmenden Alter steigt der Anteil der anderen Histologien an, Adenokarzinomen vor unspezifischen und anderen Typen. Der Anstieg an Adenokarzinomen im Alter wird auch in anderen Ländern beobachtet.9
Lokalisation
Die Tumoren, bei denen eine Lokalisation angegeben ist, befinden sich zu 86% im Analkanal, zu 13% in mehreren Teilbereichen (Analkanal, Anus, Rektum) und zu 1% in der Kloakenregion (Übergangs- oder Transitionszone).9
Ausbreitung
Der Lymphabflussweg distal der Linea dentata drainiert primär in die oberflächlichen inguinofemoralen Lymphknoten, proximal der Linea dentata nach anorektal, pararektal, präsakral und gelegentlich nach iliakal intern. Die Lymphe des gesamten Analkanals fliesst nach inguinal und dann sekundär nach iliakal extern. Zwischen den Kompartimenten proximal und distal der Linea dentata bestehen außerdem reichlich Verbindungen.
Gemessen an ACT II Studie und einer Erhebung mittels PET/CT beträgt das Risko für eine nodale Metastasierung bei Ersterkrankung etwa 30%.10 In einer schwedischen Studie, bei der nahezu alle Patienten im Rahmen des Stagings auch eine PET/CT durchgeführt wurde, hatten rund 52% nodale Metastasen.11 Bei einer SEER Datenbankanalyse befanden sich etwa 6% der Analkanalkarzinome primär in einem fernmetastasierten Stadium.12 Bei insgesamt etwa 25% aller Patienten kommt es syn- und metachron zu Fernmetastasen.13
Stadieneinteilung
entsprechend TNM 8. Auflage.14 Die Klassifikation ist für Analkanal- und Analrandkarzinome gültig.
T – Status | ||
T1 | Tumor bis 2 cm | |
T2 | Tumor über 2 cm, bis 5 cm | |
T3 | Tumor über 5 cm | |
T4 |
Tumorinfilration in benachbarte Organe (Vagina, Urethra, Harnblase).
Eine direkte Infiltration rektal, in die perirektale Haut oder in Sphinktermuskulatur wird nicht als T4 klassifiziert |
|
N – Status | ||
N1 | regionäre Lymphknotenmetastasen | |
N1a | inguinal, mesorektal und/ oder iliakal intern | |
N1b | ausschließlich iliakal extern | |
N1c | iliakal extern, und: inguinal oder mesorektal oder iliakal intern | |
M – Status | ||
M1 | Fernmetastasen |
UICC Stadien | |||
I | T1 | N0 | M0 |
IIA | T2 | N0 | M0 |
IIB | T3 | N0 | M0 |
IIIA | T3 | N1 | M0 |
IIIB | T4 | N0 | M0 |
IIIC | T3, T4 | N1 | M0 |
IV | jedes T | jedes N | M1 |
Therapieprinzipien
Analrandkarzinome im Stadium I und im frühen Stadium II (T2 bis 3 cm) werden als Hautkarziome exzidiert, sofern der Analsphinkter geschont werden kann, ansonsten. Ausgedehntere Tumoren (Tumorgröße > 3cm, Sphinkterinfiltration, Infiltration in den Analkanal) sind Indikationen zur Radio/ Chemotherapie.15 Seit den 1974 – 1983 publizierten, überraschend guten Ergebnissen der primär als neoadjuvant geplanten Therapie hat die Radiatio und simultane Chemotherapie bei den Analkanalkarzinomen die abdominosakrale Rektumamputation als Standardverfahren abgelöst. Vorteile sind der Organ- und Funktionserhalt sowie die besseren Fünfjahres- Überleensraten. Eine kurative Operation ist heute nur noch statthaft, wenn eine Alteration der Schließmuskel sicher vermieden werden kann: im Stadium I (T1 N0), G1 – G2.16
Der Wert der zusätzlichen Chemotherapie mit 5-FU und Mitomycin C wurde in drei Studien geprüft. In der ACT I Studie ergaben sich nach 5 Jahren folgende Vorteile:17
RT | RT + Chemo | |
---|---|---|
kolostomiefreies Überleben | 36,8% | 46,9% |
Lokalrezidive | 57,1% | 32,9% |
Gesamtüberleben | 53,0% | 58,1% |
krankheitsbedingtes Versterben | 41,8% | 30,5% |
Eine Induktions- oder Erhaltungschemotherapie führte in mehreren Phase III- Studien zu keinem zusätzlichen Nutzen. In der RTOG-98-11 trat sogar eine Verschlechterung des Gesamt- und des krankheitsfreien Überlebens.18 Die Ansprechraten durch alleinige Gabe von 5-FU und MMC liegen bei 50%. Mitomycin C weist einen relativ späten Nadir auf: 2-4 Wochen. Eine Chemotherapie mit Cisplatin/ 5-FU ist hinsichtlich des krankheitsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens nicht überlegen, führt aber häufiger zu einer späteren Kolostomie (19% statt 10% kumulativ nach 5 Jahren).19 Die Kombination Cisplatin/ Mitomycin C wies in einer Phase II Studie eine signifikant schlechtere Toxizität und Compliance auf. Die Ansprechrate nach 8 Wochen betrug 91,9% im experimentellen Arm und 82,8% im Standardarm.20 Der Unterschied ist nicht signifikant (p>0,221). Eine Phase III Studie hat sich nicht angeschlossen.
Kurz: Die Kombination aus 5-FU und Mitomycin C bleibt Standard bei der simultanen Radio-/ Chemotherapie.
Ein ausbleibendes Therapieansprechen nach 8-12 Wochen, eine Progression sowie bei einem lokoregionär begrenzten Lokalrezidiv stellen die Indikation zu einer Salvage- Operation dar.22 In retrospektiven Studien finden sich Fünfjahreüberlebensraten nach Salvageoperationen von 24,5% bis 60%, als unabhängige Risikofaktoren sind dabei die R1- Resektion und der T- Status T3/ T4 zum Zeitpunkt der Salvageoperation unumstritten.2324
Indikation RT
Die Radio-/ Chemotherapie stellt die kurative Standardtherapie bei Tumoren ab 2 cm und ab dem Grading G2 dar.
Zielvolumen
Das Zielvolumen umfasst grundsätzlich den Primärtumor, die Lymphknotenmetastasen und die lokoregionären Lymphabflusswege inguinal beidseits, mesorektal (kaudale 50 mm bei N0, gesamt bei N+), iliakal intern und ilikal extern. Bei T1 Tumoren mit günstiger Risikokonstellation kann auf die Mitbestrahlung der Lymphabflusswege verzichtet werden. Als Beispiel für eine günstige Risikokonstellation wird genannt: G1- G2, p16- positiv, weibliches Geschlecht, alle Kriterien treffen zu.
Dosis RT
Bei der Dosis für die verschiedenen Zielvolumina besteht international kein Konsens.
Zielvolumen | NCCN | ESMO-ESSO-ESTRO | brittische IMRT Guideline | Experten S3 LL |
---|---|---|---|---|
Primärtumor | 45 Gy T1/2: Boost, falls Resttumor T3/T4: Boost Boost Dosis: 5,4 – 14,4 Gy |
45 – 50,4 Gy T3/T4: + (unspezifizierter) Boost |
50,4 Gy (T1/T2) 53,2 Gy (ED 1,9 Gy) (T3/T4 oder T1/T2 N1 high risk) |
59,4 Gy (T3/ T4) |
Lymphknotenmetastasen | 50,4 Gy – 59,4 Gy | k. A. | 50,4 Gy | 59,4 Gy (ausgedehnte Met.) |
nicht befallene LAW | 45 Gy 30,6 Gy (niedriges Risiko) |
45 – 50,4 Gy | 40 GY (ED 1,43 Gy) | k. A. |
Eine höhere Dosis als 59,4 Gy findet sich in keiner Empfehlung.
Als pragmatische Dosierung wird in Vechta verwendet:
nicht befallene Lymphabflusswege: 45 Gy (ED 1,8 Gy), gleichzeitig – als concomitant Boost – Mitbestrahlung von Primärtumor und Lymphknotenmetastasen bis 50 Gy (ED 2 Gy). Anschliessend sequentielle Dosisaufsättigung (Boost)
- auf T3-/ T4 Tumoren und ausgedehnte Lymphknotenmetastasen: weitere 9 Gy (ED 1,8 Gy, GD 59 Gy)
- auf T1-/ T2- Tumoren oder kleinen Lymphnotenmetastasen, die nach 50 Gy persistierend: Primärtumor/ Lymphknotenmetastasen: weitere 5,4 Gy – 9 Gy (ED 1,8 Gy, GD 55,4 Gy – 59 Gy).
Für IMRT Bestrahlungen werden in der brittischen Leitlinie folgende Constraints angegeben:
Organ | Kriterium | optimale Constraint | verpflichtende Constraints |
PTV | D99% | > 90% | |
D95% | > 95% | ||
D50% | 99% – 100% | ||
D5% | < 105% | ||
D2% | <107% | ||
Dünndarm | D200cc | < 30 Gy | < 35 Gy |
D150cc | < 35 Gy | < 40 Gy | |
D20cc | < 45 Gy | < 50 Gy | |
Dmax | < 50 Gy | < 55 Gy | |
Femurköpfe | D50% | < 30 Gy | < 45 Gy |
D35% | < 40 Gy | < 50 Gy | |
D5% | < 50 Gy | < 55 Gy | |
Genitalien | D50% | < 20 Gy | < 35 Gy |
D35% | < 30 Gy | < 50 Gy | |
D5% | < 40 Gy | < 55 Gy | |
Harnblase | D50% | < 35 Gy | < 45 Gy |
D15% | < 40 Gy | < 50 Gy | |
D5% | < 50 Gy | < 55 Gy |
Nebenwirkungen
Bei der ACT II Studie erlitten 63% Nebenwirkungen von Schwergrad III° und 13% vom Schweregrad IV°.26
Akut- NW | G III° | G IV° |
---|---|---|
alle | 63% | 13% |
Haut | 41% | 7% |
Schmerzen | 24% | 2% |
hämatologisch | 23% | 4% |
(davon febrile Neuropenie) | 3% | <1% |
Diarrhoe | 9% | <1% |
Stomatitis | 3% | |
Übelkeit | 2% | |
Erbrechen | 2% | |
urogenital | 1% | <1% |
In 2% wurde eine Kolostomie wegen Toxizität notwendig. Weitere Spättoxizität wurde nicht erhoben. In der RTOG 0529 wurde bei 107 Patienten/ Patiientinnen eine Spätoxizität von Grad III° von 2% gastrointestinal, 0% urogenital, 1% an der Hüfte gefunden. Zu Grad IV° Nebenwirkungen kam es nicht.27
Prognose
Die 5-Jahres- Gesamtüberlebensrate liegt nach Auswertung der SEER Datenbank bei 68,7%, ohne lokoregionäre Lymphknotenmetastasen bei 81,9%, mit bei 65,8% und im fernmetastasierten Stadium bei 33,9%.28 Eine Remission des Primarius von mehr als 80% vor einer Boostbestrahlung geht mit einem besseren Gesamt-, krankheitsfreien und stomafreien Überleben einher. Eine abdominoperineale Rektumresektion wegen eines persistierenden Tumors nach Radio-/ Chemotherapie führt zu einer 5- Jahresüberlebensrate von 45%, im Falle eines Rezidivs von 51%.
Nachsorge
Ein Therapieansprechen soll 11 Wochen, 18 Wochen und 26 Wochen, gerechnet ab Begin der Strahlentherapie mittels digital- rekataler Untersuchung und Proktoskopie beurteilt werden. Bei Progressionsfreiheit soll nicht vor 26 Wochen eine PE entnommen werden. Im Falle einer kompletten Remission soll eine PE unterbleiben. Zum Zeitpunkt 11 Wochen ergeben sich 30,3% falsch positiv Befunde. Bei klinischer Remission nach 26 Wochen wird eine MRT empfohlen, klinisch persistierende histologisch abgeklärt werden. Zur Bildgebung wird eine PET/CT empfohlen (falsch-negativ zu 0%, nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen enthalten) sowie, vor Salvage- Operation, eine pelvine MRT.
Ab kompletter Remission (26 Wochen nach Radio-/ Chemotherapie bzw. nach R0- Resektion) beginnt die eigentliche Tumornachsorge über Jahre. Ein erhöhtes Risiko haben immunkompromittierte Patienten oder ab eineem Stadium IIB. Für diese wird in den ersten 2 Jahren wird ein Nachsorgeintervall von 3 Monaten, dann halbjährlich vorgeschlagen. Andernfalls ist ein Dreimonatsintervall im ersten Jahr, halbjährlich für die Jahre 2 und 3 sowie nach 4 und 5 Jahren ausreichend.
Literatur/ Anmerkungen
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- BIldnachweis: C. Stallmann Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.) ↩ ↩
- www.krebsdaten.de/abfrage, Abfrage vom 31.05.20. Parameter: Diagnose: Anus u. Analkanal (C21); Geschlecht: männlich, weiblich; Jahre: 2016. Letzte Aktualisierung: 17.12.2019. ↩
- Diese Angaben und nachfolgende Grafik sind aus den bei www.krebsdaten.de angegeben ermittelt, wobei Durchschnittsalter und mittlere Lebenserwartungen entsprechend https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/durchschnittsalter-zensus.html und https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/logon?sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=12621-0001&sachmerkmal=GES&sachschluessel=GESM (Zugriffe jeweils 16.09.2019) verwendet wurden. ↩
- Eng, C, Messick, C, Glynne-Jones, R: The Management and Prevention of Anal Squamous Cell Carcinoma. Am Soc Clin Oncol Educ Book 2019, 39: 216-225. ↩ ↩
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