Pankreaskarzinom

 

 

Übersicht

Die letzte deutsche S3 Leitlinie stammt aus dem Jahr 2013 und hatte eine geschätzte Gültigkeit von 3 Jahren.1

Inzidenz

Das Pankreaskarzinom ist eine Erkrankung des Alters. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 73,8 Jahren. Männer sind etwas häufiger betroffen, das Verhältnis männlich/ weiblich liegt bei 1,24. Das Lebenszeitrisiko, an einem Pankreaskarzinom zu erkranken liegt bei 2,2% (Männer: 2,4%, Frauen 2,0%).2 3

Abb.: altersabhängige Inzidenz des Pankreaskarzinoms in Deutschland 20164

Risikofaktoren

nach 5

  • Rauchen: Akive Raucher haben ein 75% höheres Risiko als Nichtraucher.
  • Adipositas: Ein BMI von mindestens 30 verdoppelt das Risiko im Vergleich zu einem BMI unter 25. Bei 11,5% (Frauen) bzw. 12,8% (Männer) wurde in einer britischen Studie eine Pankreaskarzinomerkrankung auf Übergewicht zurückgeführt.
  • Ernährung: Bei Vegetarier und Veganern wurde im Vereingten Königreich eine 50% geringere Pankreaskarzinom- Mortalität als bei durchschnittlichem Fleischkonsum festgestellt, in der Bevölkerung mit geringem Fleischkonsum betrug die Risikoreduktion 30%- 45%. Bei der EPIC Studie war das Risiko nur bei Geflügelfleisch erhöht. In einer Metaanalyse war das Pankreaskarzinom, anders als bei der EPIC Studie, mit dem Konsum von verarbeitetem Fleisch assoziiert. In einer weiteren Studie war der häufige Genuss von Nüssen mit einer höheren Pankreaskarzinominzidenz bei Frauen vergesellschaftet.
  • Diabetes erhöht das Risiko für Pankreaskarzinomen um das Doppelte, und zwar sowohl für Typ I, als auch für Typ II. In Italien wurden 9,7% der Pamkreaskarzinome auf Diabetes zurückgeführt.
  • chronische Pankreatitis: bei 4% entwickelt sich ein Pankreaskarzinom.
  • Genetische Disposition: Etwa 5- 10% der Pankreaskarzinome gelten als hereditär, nach aktueller Datenlage sogar bis zu 21%6

Klinik

Zum Symptomenspektrum gehören ungewollter Gewichtsverlust, schmerzloser Ikterus, Steatorrhoe (fettreiche Durchfälle), Schmerzen (insbesondere nächtliche epigastrische Schmerzen mit oder ohne gürtelförmige Ausstrahlung in den Rücken), Dyspepsie, Übelkeit, Erbrechen und gelegentlich Pankreatitis. 61 Spezifische Frühsymptome fehlen. Eine Tumorkachexie ist schwer beeinflussbar.7 Thromboembolische Ereignisse sind mit einer Häufigkeit von 15% gehäuft.8

Diagnostik

Als Basisuntersuchung wird üblicherweise eine Sonographie des Abdomens eingesetzt. Zur Abklärung eines Verdacht auf ein Pankreaskarzinom empfiehlt NCCN9 ein CT entsprechend einem dezidierten Pankreas Protokoll.6Gefordert wird u. a. ein 64- Zeilen- Scanner, eine Schichtdicke unter 3 mm, möglichst 0,5 – 1 mm sowie Serien in der Pankreasparenchymphase 40 – 50 Sekunden und in der portalvenösen Phase 65 – 70 Sekunden nach Kontrastmittelapplikation. Diese Untersuchung erlaubt auch die Beurteilung der Resektabilität. Diese ist gegeben, wenn ein Tumor keinen Kontakt zum Tr. coeliacus, zur A. hepatis communis oder V. mesenterica superior besitzt und an der Portalvene keine irreguläre Kontur verursacht sowie die Konktfläche maximal 180° ausmacht. Desweiteren kann der Tumor mittels weiterer Kriterien als grenzwertig oder unresektabel eingeschätzt werden.

Im Falle einer Raumforderung bestimmt man CA19-9 als Tumormarker. Als weitere Untersuchungen kommen in Frage (typische Fragestellung):

  • MRT (Abklärung von unklaren Leberherden, Tumorausdehnung bei unsicherer Aussage im CT)
  • Röntgen Thorax (Lungenmetastasen) oder CT Thorax (aussagekräftiger)
  • Staging Laparotomie (Peritonealkarzinose bei hohem Tumormarker oder Aszites)

Werden technisch, prognostisch und internistisch operable Pankreasraumforderungen primär operiert, ist eine histologische Diagnosesicherung vorab nicht notwendig. Ansonsten ist eine Probeentnahme des Primarius oder einer Metastase obligat.

Histologie

Die Einteilung der primären Pankreasmalignome richtet sich nach der 5. Auflage der WHO Klassifikation von 2019. Demnach werden – vereinfacht – unterschieden:11

  • Karzinome (epithelialen Ursprungs)
    • duktales Adenokarzinom
      • kolloides Karzinom
      • siegelringzelliges Karzinom
      • medulläres Karzinom
      • adenosquamöses Karzinom
      • Epidermoidkarzinom
      • großzelliges Karzinom vom rhabdoiden Phänotyp
      • undifferenziertes Karzinom
      • undifferenziertes Karzinom mit osteoklastenartigen Riesenzellen
    • Azinuszellkarzinom
    • Pankreatoblastom
    • solides pseudopapilläres Neoplasma des Pankreas
  • neuroendokrine Neoplasien

Die duktalen Adenokarzinom machen 85% – 90% der der exokrinen Pankreastumore aus. Bei 2% – 5 % stellt sich eine metastastische Absiedlung beispielsweise eines Nierenkarzinoms heraus. Das Azinuszellkarzinom ist mit einem Anteil von 1% – 2% selten. Neuroendokrine Tumoren haben einen Anteil von etwa 5%.12, 13

Lokalisation

Das Pankreaskarzinom befindet sich meistens im Kopf (60% – 70%), zu 5% – 15% im Korpus und zu 20% – 15% im Schwanz.13

Ausbreitung

Zu 9,4% befindet sich das Pankreaskarzinom im lokalisierten Stadium. Bei Erstdiagnose sind bereits 52% fernmetastasiert.5 Eine operable Ausdehnung besteht zu 20%, bei 80% ist der Therapieansatz schon primär palliativ.7 Die neuroendokrinen Tumoren sind bei einem Drittel im operablen Stadium.14

Stadieneinteilung

entsprechend TNM 8. Auflage15

T- Status
T1 bis 2 cm
T1a bis 0,5 cm
T1b bis 1 cm
T1c bis 2 cm
T2 bis 4 cm
T3 über 4 cm
T4 Infiltration in
  • Truncus coeliacus, oder
  • A. mesenetrica sup., oder
  • A. hepatica comm.
N- Status
N1 1 – 3 Lymphknotenmetastasen
N2 ab 4 Lymphknotenmetastasen
M- Status
M1 Fernmetastasen

Anmerkung: eine rein peripankreane Ausdehnung ändert das T- Stadium nicht.

UICC Stadien

Stadium T N M
IA T1 N0 M0
IB T2 N0 M0
IIA T3 N0 M0
IIB T1 – T3 N1 M0
III T1 – T3 N2 M0
T4 jedes N M0
IV jedes T jedes N M1

Therapieprinzipien

Eine kurative Chance besteht nur nach Resektion. Ist das Pankreaskarzinom primär operabel, ist die Resektion der erste Therapieschritt. Anschliessend ist eine adjuvante Chemotherapie indiziert. Eine modifizierte FOLFIRINOX- Chemotherapie ist einer mit Gemcitabine überlegen. Das mediane Überleben betrug 54,4 Monate versus 35 Monate und die Überlebensrate nach 3 Jahren 63,4% versus 48,6%.16 Bei lokal fortgeschrittene und grenzwertig resektable Tumoren gelingt nach einer neoadjuvanten Chemotherapie in einem Dritte der Fälle die Resektion. Empfohlen wird FOLFIRINOX, modifiziert FOLFIRINOX oder nab-Paclitaxel/ Gemcitabine (GnP),17. Eine zusätzliche Strahlentherapie nach einer Resektion non-in-sano wird gehört anders als in Deutschland in den USA zu den üblichen Therapieoptionen. Inoperable Stadien werden primär systemisch behandelt.

Abb.: Primärtherapie beim Pankreaskarzinom (vereinfacht); orange: in Deutschland kein Standard, als individuelle Therapie möglicherweise indizierbar (s. auch Erörterung unter “Indikation RT”)4

In der Palliation kann eine Strahlentherapie beim schmerzhaften Primärtumor und bei schmerzhaften Metastasen etwa in der Leber indiziert werden.

Indikation RT

neoadjuvant

Der Stellenwert einer Strahlentherapie ist wegen fehlender Ergebnisse von randomisierten kontrollierten Studien nicht geklärt. Eine neoadjuvante Radiatio, kombiniert mit FOLFIRINOX führt bei grenzwertig operablen Befunden zu Resektionsraten von 58% – 85%, FOLFIRINOX alleine bei 51% – 100%. Angesichts des retrospektiven Charakters der meisten Studien ist ein Bias nicht ausgeschlossen: möglicherweise erhalten Patienten mit fortgeschritteneren Befunden eher eine Strahlentherapie. Nachdem eine adjuvante Strahlentherapie in der ESPAC-1 Studie, anders als eine adjuvante Chemotherapie, keinen Überlebensvorteil erbrachte, ist in Europa die adjuvante und neoadjuvante Strahlentherapie weitgehend verlassen worden. Im Gegensatz dazu findet eine neoadjuvante Strahlentherapie in den USA breite Anwendung.17 Bei der ESPAC- Studie war die Strahlentherapie mit aus heutiger Sicht unzureichenden 40 Gy als split course (2 x 20 Gy) normfraktioniert durchgeführt worden18, mit einer heute überholten Bestrahlungstechnik. Die Entscheidung zur Strahlentherapie traf nichtrandomisiert der behandelnden Arztes nach intransparenten Kriterien19. In einer retrospektiven französischen multizentrischen Studie mit 203 Patienten mit grenzwertig operablen oder lokal fortgeschrittenen, primär inoperablen Pankreaskarzinomen war eine Kohorte mit neoadjuvanter FOLFIRINOX Chemotherapie mit einer Kohorte verglichen worden, die zusätzlich eine neodjuvante Radio-/ Chemotherapie (54 Gy, 5-FU oder Capecitabine) erhielten. Das mediane Überleben betrug 35,5 Monate ohne und 57,8 Monate mit Radio-/ Chemotherapie. Auch das krankheitsfreie Überleben (16,2 Monate vs. 45,4 Monate), die Raten an R0 Resektionen (89,2% vs. 76,3%), ypN0- Befunden (48,5% vs. 76,2%) , an weitgehenden pathologischen Ansprechen (12,9% vs. 33,3%) und lokoregionären Rezidiven (50,7% vs. 28,3%) war in der Chemotherapie-allein- Gruppe signifikant schlechter.20

Persönliches Fazit: Die Datenlage retrospektiver Erhebungen ist widersprüchlich. Angesichts der vielversprechenden Ergebnisse der zuletzt genannten französischen Studie kann bei Wunsch nach einer Maximaltherapie eine neoadjuvante Radio-/ Chemotherapie im individuellen Therapieansatz gerechtfertigt werden.

adjuvant

In einer gepoolten Analyse von 955 Patienten war das mediane Überleben nach R0- oder R1- Resektion mit einer nachfolgenden Radio-/ Chemotherapie signifikant besser (jeweils p<0,001) als ohne adjuvante Therapie und als nach alleiniger Chemotherapie (meistens Gemcitabine): 39,9 Monate vs. 24,8 Monate vs. 27,8 Monate.21 Der Überlebensvorteil durch eine adjuvante Radio-/ Chemotherapie wurde auch im Kollektiv der John- Hopkins Hospital und der Mayo Klinik gefunden. Hier waren auch Patienten mit R2 Resektionen eingeschlossen gewesen. Ein Vorteil wurde insbesondere im nodal positiven Status festgestellt. 22

In einer retrospektiven koreanischen Studie wurden 3 adjuvante Therapien nach R0- Resektionen verglichen: Radio-/ Chemotherapie vs. Chemotherapie alleine vs. Kombination aus Radio-/ Chemotherapie und Chemotherapie. Die Überlebensraten waren nach Chemotherapie und Kombination aus Radio-/ Chemotherapie mit Chemotherapie vergleichbar, im Stadium III besser als Radio-/ Chemotherapie.23 Dies unterstreicht den Stellenwert einer adjuvanten Chemotherapie, zumal aus Abrechnungsgründen die neueren und wirksameren Chemotherapien nicht gegeben wurden.

Persönliches Fazit: Nach dem aktuellen, unsicheren Kenntnisstand kann eine adjuvante Radio-/ Chemotherapie die Ergebnisse einer alleinigen Chemotherapie offenbar nur bei gewissen Risikokonstellationen verbessern. Dazu zählen6: R1-, R2- Resektionen und eine (begrenzte? N1 = Stadium IIB?) nodale Metastasierung.

inoperabel, ohne Metastasen

In der randomisierten LAP07- Studie wurde nach Operation und einer adjuvanten Chemotherapie im Falle einer Progressionsfreiheit eine adjuvante Chemotherapie gegen eine Radio-/Chemotherapie getestet. Das progressionsfreie Überleben war tendenziell besser (p=0,06), hatte aber keine Auswirkung auf des Gesamtüberleben (HR 1,03, p=0,83).24

Fazit: Standardmäßig ergibt sich daher beim lokal fortgeschrittenen Pankreaskarzinom auch ohne Fernmetastasen keine Indikation zur Radiatio.

palliativ

Schmerzen durch den Primärtumor sind ein häufiges Problem. Etwa ein Drittel der Patienten empfindet dies als Hauptsymptom, kurz vor dem Tod sogar 90%.25 Durch eine Strahlentherapie kann eine Schmerzbesserung bei 55% – 79% erzielt werden.

Publikation n Schmerzbesserung Fraktionierungen
Morganti 200326 12 75% 10 x 3 Gy
Wolny-Rikocka 201627 31 55% hauptsächlich 10 x 3 Gy und 5 x 4 Gy,
außerdem 6 x 3 Gy, 5 x 2,2 Gy, 1 x 6 Gy
Ebrahimi 201825 61 66% hauptsächlich 3 x 8 Gy und 2 x 8 Gy
außerdem 1x 8 Gy (8) 1 x 6 Gy (1)
Wang 201828 24 79% 5 x 5 Gy

Zielvolumen

neoadjuvant

s. 29

GTV (Primärtumor und Lymphknoten über 1 cm). PTV = GTV + 1,5 cm – 2 cm nach anterior, posterior und lateral; + 2 – 3 cm nach kranial und kaudal. Ein geringere Saum ist mit 4D- CT (empfohlen!) oder Kontrolle der Atembeweglichkeit realisierbar. Fakultativ ist die Mitbestrahlung der lokoregionären Lymphabflußwege: peripankrean, an der A. mesenterica sup., zöliakal sowie portalvenös (bei Pankreaskopftumoren) bzw. Milzhilus (Tumoren des Pankreaskorpus und -schwanz).

palliativ

s. 28

schmerzverursachende Tumorausdehnung; typischerweise: Primärtumor, angrenzende Lymphknotenmetastasen, (subklinische) peritumorale Tumorinfiltration, Truncus coeliacus

Dosis RT

neoadjuvant

GD (50,4 -) 54 Gy, auf nichtbefallenen Lymphabfluss (prophylaktische Nodalbestrahlung): 45 – 50,4 Gy.

Dosisconstraints entsprechend30

Risikoorgan Constraint
Leber Dmean < 25 Gy
V20 < 30%
jede Niere Dmean < 18 Gy
Zweidrittel der Niere < 20 Gy
Magen Dmax < 55 Gy
Dünndarm V55 < 1 cc
v45 < 15 cc
V15 < 120 cc (bei Konturierung der Einzelschlingen)
Myelon Dmax < 45 Gy

palliativ

5 x 5 Gy;

2 x 8 Gy (oder 1 x 8 Gy, 3 x 8 Gy);

10 (-12) x 3 Gy

Nebenwirkungen

Nebenwirkungen sind in erster Linie gastrointestinal- Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe. IMRT- Bestrahlungstechniken gehen mit weniger Grad 3 Nebenwirkungen einher: Nausea/ Erbrechen 0% vs. 11%, Diarrhoe: 3% vs. 11%.6

Bei den verschiedenen Publikationen zur palliativen Bestrahlung waren keine schweren (Grad 3-4) Nebenwirkungen beschrieben worden. Die häufigsten Nebenwirkungen (Grad 1/2) sind Übelkeit, Erbrechen, eine vorübergehende Schmerzverstärkung und Fatigue.

NW G1/ G2 Ebrahimi25 Wang28 Wolny-Rikocka27
Nausea 51% 29%
zusammen mit Erbrechen
32%
Erbrechen 21% 17%
Schmerzen 33%
(vorübergehende Zunahme)
21%
(vorübergehende Zunahme)
94%
Diarrhoe 13% 10%
Obstipation 8%
Fatigue 33% 23%

Prognose

Bei 20% besteht aufgrund der Tumorausdehnung ohne Fernmetatsasen und ohne ausgedehnte arterielle Invasion grundsätzlich ein kurativer Therapieanspruch. Nach Operation an einem Zentrum und einer konsequenten adjuvanten Chemotherapie kann in 20% eine Tumorfreiheit nach 5 Jahren erzielt werden.7 Bei den 80% der Patienten mit palliativer Zielsetzung betragen die medianen Überlebenszeiten etwa 4 Monate ohne Chemotherapie (best supportive care), 7 Monate mit Gemcitabine, FOLFOX oder FOLFIRI sowie 14 Monate mit FOLFIRINOX31 Ob und welche Chemotherapie eingesetzt werden kann, hängt vom Allgemeinzustand ab.32

Die 5- Jahres- Überlebensraten beträgt 6% und ist stadienabhängig. Im lokalisierten Stadium leben nach 5 Jahren 29,3% und 2,6% im fernmetastasierten Stadium IV.5 Nach Operation (im lokalisierten und lokoregionär begrenzten Stadium) liegt die 5-Jahres- Überlebensrate bei 20%.7

Nachsorge

Eine strukturierte Nachsorge bietet keine Verbesserung des Überlebens. Um eine exokrine oder endokrine Insuffizienz zu detektieren sind hausärztliche Anamnese und körperliche Untersuchungen empfohlen.1

Lizenz

Quelle: https://www.port-db.de; Dieses Werk von Christian Stallmann ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0 (deutsch: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de)


  1. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Exokrines Pankreaskarzinom, Langversion 1.0, 2013, AWMF Registernummer: 032-010OL, http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Leitlinien.7.0.html. Zugriff 09.12.2020.
  2. Datenbankabfrage (Parameter: Inzidenz, Rohe Rate in Deutschland pro 100.000 Einwohner. Filter: Altersgruppen: 0 – 85+; Diagnose: Brustdrüse (C50); Jahre: 2014). Datenstand: 29.11.2017. www.krebsdaten.de/abfrage. Zugriff: 16.09.2019
  3. Erkrankungsalter und Lebenszeitrisiko sind nicht der Datenabfrage direkt entnommen, sondern wurden aus ihnen berechnet
  4. Bildnachweis: C. Stallmann Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.)
  5. Ilic, M, Ilic, I: Epidemiology of pancreatic cancer. World Journal of Gastroenterology 2016, 22: 9694.Hermann, S, Kraywinkel, K: Epidemiologie des Pankreaskarzinoms in Deutschland. Der Onkologe 2019, 25: 647-652
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  7. Pelzer, U: Pankreaskarzinom – Therapiestandards und spezielle Situationen. best practice onkologie 2018, 13: 238-246.
  8. Pelzer, U, Opitz, B, Deutschinoff, G, Stauch, M, Reitzig, PC, Hahnfeld, S, Müller, L, Grunewald, M, Stieler, JM, Sinn, M, Denecke, T, Bischoff, S, Oettle, H, Dörken, B, Riess, H: Efficacy of Prophylactic Low–Molecular Weight Heparin for Ambulatory Patients With Advanced Pancreatic Cancer: Outcomes From the CONKO-004 Trial. Journal of Clinical Oncology 2015, 33: 2028-2034.
  9. Die letzte deutsche S3 Leitlinie ist eine 2013 aktualisierte Version von 2006 und ist nicht mehr gültig. Wegen der technischen Fortschritte beim CT empfiehlt sich die Orientierung an den aktuellen NCCN Leitlinien.6 Die Empfehlungen zu den übrigen diagnostischen Maßnahmen orientiert sich dagegen an die (letzte, aber veraltete) deutsche S3 Leitlinie 10
  10. Leitlinienprogramm Onkologie der AWMF, Deutschen Krebsgesellschaft e.V. und Deutschen Krebshilfe e.V.: S3-Leitlinie zum exokrinen Pankreaskarzinom (Version 1.0 – Oktober 2013). https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Pankreaskarzinom/LL_Pankreas_OL_Langversion.pdf. Zugriff: 25.11.2019
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Analkarzinom

 

Angaben entsprechend S3- Leitlinie1, sofern nicht anders vermerkt.

Übersicht

Vorbemerkung zu folgenden Ausführungen: Der Analkanal erstreckt sich über 3 – 4 cm vom Rektum bis zur anokutanen Linie. Das 5 cm große Hautareal um die Anokutalinie wird als Analrand bezeichnet. Analrandkarzinome sind daher Hautkarzinome. Die hier aufgeführten Ausführungen zur Therapie beziehen sich auf die Analkanalkarzinome.

Abb.: Topographie Analkanal (türkis) 2

Häufigkeit

Die Inzidenz beträgt in Deutschland 2,8/ 100.000. Frauen sind etwas häufiger betroffen (Verhältnis weiblich zu männlich: 1,30; Inzidenzen: 3,1 zu 2,4 pro 100.000).3

Das mittlere Erkrankungsalter liegt im 68. Lebensjahr (bei Frauen im 66., bei Männern im 69. Lebensjahr) und das Lebenszeitrisiko, an einem Analkarzinom zu erkranken, bei 0,2% (Männer: 0,2%, Frauen 0,3%). 4

Abb.: altersabhängige Inzidenz des Analkarzinoms in Deutschland 20162

Risikofaktoren

Als Risikofaktoren für die plattenepitelialen Analkarzinome gelten HPV Infektion, sexuell übertragene Erkrankung (wie Chlamydien, Gonorrhoe und Syphilis) in der Vorgeschichte und Tabak. In 90% – 96% findet sich ein Infektionsnachweis mit HPV 16 und HPV 18. HPV Impfprogramme gegen 4 high-risk HP- Viren haben anale Dysplasien verhindert. Eine HIV Infektion steigert das Risiko für Analkarzinome um den Faktor 30.5 Rauchen erhöht das Risiko nach 20 packyears um das 1,9-fache und nach 50 packyears um das 5,2-fache.6

Diagnostik

Falls nicht anders angegeben, vergleiche 5.

Das häufigste klinische Zeichen ist mit 45% die anale Blutung, gefolgt von analen Schmerzen und der Empfindung einer rektalen Raumforderung.7

  • Eine Anamnese sollte auch zurückliegende sexuell übertragbare Erkrankungen erfassen.
  • Die körperliche Untersuchung umfasst inbesondere die inguinalen Lymphknoten und eine digital-rektale Palpation.
  • Empohlen werden apparative Untersuchungen von Thorax und Abdomen/ Becken mittels CT (letzteres alternativ mittels MRT).
  • eine PET/CT Untersuchung kann alle diese Untersuchungen ersetzen, und die diagnostische Sicherheit verbessern. PET/CT Untersuchungen führen bei 41 % zu einer Änderung des TNM Stadiums. Beim Nodalstatus kommt es jeweils 15% zu einem Upstaging bzw. Downstaging. Gemessen an der Sentinelbiopsie inguinale Lymphknoten erreicht die PET/CT Untersuchung eine Sensitivität von 100% und eine Spezifität von 83%.8 Dennoch ist eine PET/CT Untersuchung beim Analkarzinom nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten.
  • Desweiteren ist eine Proktoskopie angezeigt.
  • eine histologische Sicherung ist obligat.

Histologie

Plattenepithelkarzinome haben in Deutschland einen Anteil von 86%. Bis zum Lebensalter bis 70 Jahre beträgt er 90%. Mit zunehmenden Alter steigt der Anteil der anderen Histologien an, Adenokarzinomen vor unspezifischen und anderen Typen. Der Anstieg an Adenokarzinomen im Alter wird auch in anderen Ländern beobachtet.9

Lokalisation

Die Tumoren, bei denen eine Lokalisation angegeben ist, befinden sich zu 86% im Analkanal, zu 13% in mehreren Teilbereichen (Analkanal, Anus, Rektum) und zu 1% in der Kloakenregion (Übergangs- oder Transitionszone).9

Ausbreitung

Der Lymphabflussweg distal der Linea dentata drainiert primär in die oberflächlichen inguinofemoralen Lymphknoten, proximal der Linea dentata nach anorektal, pararektal, präsakral und gelegentlich nach iliakal intern. Die Lymphe des gesamten Analkanals fliesst nach inguinal und dann sekundär nach iliakal extern. Zwischen den Kompartimenten proximal und distal der Linea dentata bestehen außerdem reichlich Verbindungen.

Gemessen an ACT II Studie und einer Erhebung mittels PET/CT beträgt das Risko für eine nodale Metastasierung bei Ersterkrankung etwa 30%.10 In einer schwedischen Studie, bei der nahezu alle Patienten im Rahmen des Stagings auch eine PET/CT durchgeführt wurde, hatten rund 52% nodale Metastasen.11 Bei einer SEER Datenbankanalyse befanden sich etwa 6% der Analkanalkarzinome primär in einem fernmetastasierten Stadium.12 Bei insgesamt etwa 25% aller Patienten kommt es syn- und metachron zu Fernmetastasen.13

Stadieneinteilung

entsprechend TNM 8. Auflage.14 Die Klassifikation ist für Analkanal- und Analrandkarzinome gültig.

T – Status
T1 Tumor bis 2 cm
T2 Tumor über 2 cm, bis 5 cm
T3 Tumor über 5 cm
T4 Tumorinfilration in benachbarte Organe (Vagina, Urethra, Harnblase).

 

Eine direkte Infiltration rektal, in die perirektale Haut oder in Sphinktermuskulatur wird nicht als T4 klassifiziert

N – Status
N1 regionäre Lymphknotenmetastasen
  N1a inguinal, mesorektal und/ oder iliakal intern
  N1b ausschließlich iliakal extern
  N1c iliakal extern, und: inguinal oder mesorektal oder iliakal intern
M – Status
M1 Fernmetastasen
UICC Stadien
I T1 N0 M0
IIA T2 N0 M0
IIB T3 N0 M0
IIIA T3 N1 M0
IIIB T4 N0 M0
IIIC T3, T4 N1 M0
IV jedes T jedes N M1

Therapieprinzipien

Analrandkarzinome im Stadium I und im frühen Stadium II (T2 bis 3 cm) werden als Hautkarziome exzidiert, sofern der Analsphinkter geschont werden kann, ansonsten. Ausgedehntere Tumoren (Tumorgröße > 3cm, Sphinkterinfiltration, Infiltration in den Analkanal) sind Indikationen zur Radio/ Chemotherapie.15 Seit den 1974 – 1983 publizierten, überraschend guten Ergebnissen der primär als neoadjuvant geplanten Therapie hat die Radiatio und simultane Chemotherapie bei den Analkanalkarzinomen die abdominosakrale Rektumamputation als Standardverfahren abgelöst. Vorteile sind der Organ- und Funktionserhalt sowie die besseren Fünfjahres- Überleensraten. Eine kurative Operation ist heute nur noch statthaft, wenn eine Alteration der Schließmuskel sicher vermieden werden kann: im Stadium I (T1 N0), G1 – G2.16

Der Wert der zusätzlichen Chemotherapie mit 5-FU und Mitomycin C wurde in drei Studien geprüft. In der ACT I Studie ergaben sich nach 5 Jahren folgende Vorteile:17

  RT RT + Chemo
kolostomiefreies Überleben 36,8% 46,9%
Lokalrezidive 57,1% 32,9%
Gesamtüberleben 53,0% 58,1%
krankheitsbedingtes Versterben 41,8% 30,5%

Eine Induktions- oder Erhaltungschemotherapie führte in mehreren Phase III- Studien zu keinem zusätzlichen Nutzen. In der RTOG-98-11 trat sogar eine Verschlechterung des Gesamt- und des krankheitsfreien Überlebens.18 Die Ansprechraten durch alleinige Gabe von 5-FU und MMC liegen bei 50%. Mitomycin C weist einen relativ späten Nadir auf: 2-4 Wochen. Eine Chemotherapie mit Cisplatin/ 5-FU ist hinsichtlich des krankheitsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens nicht überlegen, führt aber häufiger zu einer späteren Kolostomie (19% statt 10% kumulativ nach 5 Jahren).19 Die Kombination Cisplatin/ Mitomycin C wies in einer Phase II Studie eine signifikant schlechtere Toxizität und Compliance auf. Die Ansprechrate nach 8 Wochen betrug 91,9% im experimentellen Arm und 82,8% im Standardarm.20 Der Unterschied ist nicht signifikant (p>0,221). Eine Phase III Studie hat sich nicht angeschlossen.

Kurz: Die Kombination aus 5-FU und Mitomycin C bleibt Standard bei der simultanen Radio-/ Chemotherapie.

Ein ausbleibendes Therapieansprechen nach 8-12 Wochen, eine Progression sowie bei einem lokoregionär begrenzten Lokalrezidiv stellen die Indikation zu einer Salvage- Operation dar.22 In retrospektiven Studien finden sich Fünfjahreüberlebensraten nach Salvageoperationen von 24,5% bis 60%, als unabhängige Risikofaktoren sind dabei die R1- Resektion und der T- Status T3/ T4 zum Zeitpunkt der Salvageoperation unumstritten.2324

Indikation RT

Die Radio-/ Chemotherapie stellt die kurative Standardtherapie bei Tumoren ab 2 cm und ab dem Grading G2 dar.

Zielvolumen

Das Zielvolumen umfasst grundsätzlich den Primärtumor, die Lymphknotenmetastasen und die lokoregionären Lymphabflusswege inguinal beidseits, mesorektal (kaudale 50 mm bei N0, gesamt bei N+), iliakal intern und ilikal extern. Bei T1 Tumoren mit günstiger Risikokonstellation kann auf die Mitbestrahlung der Lymphabflusswege verzichtet werden. Als Beispiel für eine günstige Risikokonstellation wird genannt: G1- G2, p16- positiv, weibliches Geschlecht, alle Kriterien treffen zu.

Dosis RT

vgl. 125

Bei der Dosis für die verschiedenen Zielvolumina besteht international kein Konsens.

Zielvolumen NCCN ESMO-ESSO-ESTRO brittische IMRT Guideline Experten S3 LL
Primärtumor 45 Gy
T1/2: Boost, falls Resttumor
T3/T4: Boost
Boost Dosis: 5,4 – 14,4 Gy
45 – 50,4 Gy
T3/T4: + (unspezifizierter) Boost
50,4 Gy (T1/T2)
53,2 Gy (ED 1,9 Gy) (T3/T4 oder T1/T2 N1 high risk)
59,4 Gy (T3/ T4)
Lymphknotenmetastasen 50,4 Gy – 59,4 Gy k. A. 50,4 Gy 59,4 Gy (ausgedehnte Met.)
nicht befallene LAW 45 Gy
30,6 Gy (niedriges Risiko)
45 – 50,4 Gy 40 GY (ED 1,43 Gy) k. A.

Eine höhere Dosis als 59,4 Gy findet sich in keiner Empfehlung.

Als pragmatische Dosierung wird in Vechta verwendet:

nicht befallene Lymphabflusswege: 45 Gy (ED 1,8 Gy), gleichzeitig – als concomitant Boost – Mitbestrahlung von Primärtumor und Lymphknotenmetastasen bis 50 Gy (ED 2 Gy). Anschliessend sequentielle Dosisaufsättigung (Boost)

  1. auf T3-/ T4 Tumoren und ausgedehnte Lymphknotenmetastasen: weitere 9 Gy (ED 1,8 Gy, GD 59 Gy)
  2. auf T1-/ T2- Tumoren oder kleinen Lymphnotenmetastasen, die nach 50 Gy persistierend: Primärtumor/ Lymphknotenmetastasen: weitere 5,4 Gy – 9 Gy (ED 1,8 Gy, GD 55,4 Gy – 59 Gy).

Für IMRT Bestrahlungen werden in der brittischen Leitlinie folgende Constraints angegeben:

Organ Kriterium optimale Constraint verpflichtende Constraints
PTV D99% > 90%
D95% > 95%
D50% 99% – 100%
D5% < 105%
D2% <107%
Dünndarm D200cc < 30 Gy < 35 Gy
D150cc < 35 Gy < 40 Gy
D20cc < 45 Gy < 50 Gy
Dmax < 50 Gy < 55 Gy
Femurköpfe D50% < 30 Gy < 45 Gy
D35% < 40 Gy < 50 Gy
D5% < 50 Gy < 55 Gy
Genitalien D50% < 20 Gy < 35 Gy
D35% < 30 Gy < 50 Gy
D5% < 40 Gy < 55 Gy
Harnblase D50% < 35 Gy < 45 Gy
D15% < 40 Gy < 50 Gy
D5% < 50 Gy < 55 Gy

Nebenwirkungen

Bei der ACT II Studie erlitten 63% Nebenwirkungen von Schwergrad III° und 13% vom Schweregrad IV°.26

Akut- NW G III° G IV°
alle 63% 13%
Haut 41% 7%
Schmerzen 24% 2%
hämatologisch 23% 4%
(davon febrile Neuropenie) 3% <1%
Diarrhoe 9% <1%
Stomatitis 3%  
Übelkeit 2%  
Erbrechen 2%  
urogenital 1% <1%

In 2% wurde eine Kolostomie wegen Toxizität notwendig. Weitere Spättoxizität wurde nicht erhoben. In der RTOG 0529 wurde bei 107 Patienten/ Patiientinnen eine Spätoxizität von Grad III° von 2% gastrointestinal, 0% urogenital, 1% an der Hüfte gefunden. Zu Grad IV° Nebenwirkungen kam es nicht.27

Prognose

Die 5-Jahres- Gesamtüberlebensrate liegt nach Auswertung der SEER Datenbank bei 68,7%, ohne lokoregionäre Lymphknotenmetastasen bei 81,9%, mit bei 65,8% und im fernmetastasierten Stadium bei 33,9%.28 Eine Remission des Primarius von mehr als 80% vor einer Boostbestrahlung geht mit einem besseren Gesamt-, krankheitsfreien und stomafreien Überleben einher. Eine abdominoperineale Rektumresektion wegen eines persistierenden Tumors nach Radio-/ Chemotherapie führt zu einer 5- Jahresüberlebensrate von 45%, im Falle eines Rezidivs von 51%.

Nachsorge

Ein Therapieansprechen soll 11 Wochen, 18 Wochen und 26 Wochen, gerechnet ab Begin der Strahlentherapie mittels digital- rekataler Untersuchung und Proktoskopie beurteilt werden. Bei Progressionsfreiheit soll nicht vor 26 Wochen eine PE entnommen werden. Im Falle einer kompletten Remission soll eine PE unterbleiben. Zum Zeitpunkt 11 Wochen ergeben sich 30,3% falsch positiv Befunde. Bei klinischer Remission nach 26 Wochen wird eine MRT empfohlen, klinisch persistierende histologisch abgeklärt werden. Zur Bildgebung wird eine PET/CT empfohlen (falsch-negativ zu 0%, nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen enthalten) sowie, vor Salvage- Operation, eine pelvine MRT.

Ab kompletter Remission (26 Wochen nach Radio-/ Chemotherapie bzw. nach R0- Resektion) beginnt die eigentliche Tumornachsorge über Jahre. Ein erhöhtes Risiko haben immunkompromittierte Patienten oder ab eineem Stadium IIB. Für diese wird in den ersten 2 Jahren wird ein Nachsorgeintervall von 3 Monaten, dann halbjährlich vorgeschlagen. Andernfalls ist ein Dreimonatsintervall im ersten Jahr, halbjährlich für die Jahre 2 und 3 sowie nach 4 und 5 Jahren ausreichend.


Literatur/ Anmerkungen

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  2. BIldnachweis: C. Stallmann Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.)
  3. www.krebsdaten.de/abfrage, Abfrage vom 31.05.20. Parameter: Diagnose: Anus u. Analkanal (C21); Geschlecht: männlich, weiblich; Jahre: 2016. Letzte Aktualisierung: 17.12.2019.
  4. Diese Angaben und nachfolgende Grafik sind aus den bei www.krebsdaten.de angegeben ermittelt, wobei Durchschnittsalter und mittlere Lebenserwartungen entsprechend https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/durchschnittsalter-zensus.html und https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/logon?sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=12621-0001&sachmerkmal=GES&sachschluessel=GESM (Zugriffe jeweils 16.09.2019) verwendet wurden.
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